Das Wiener Künstlerhaus

Die Geschichte des Wiener Künstlerhauses

Das geistige Antlitz - 100 Jahre Künstlerhaus 1861–1961
von 
Walther Maria Neuwirth

Auszug eines Aufsatzes in der Festschrift anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Wiener Künstlerhauses

Die Gründung

Die "Gesellschaft bildender Künstler Österreichs", bzw. wie früher genannt "Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens", oder bekannter unter der Kurzformel "Künstlerhaus" , ist die älteste noch bestehende Vereinigung Wiener Maler, Bildhauer und Architekten. 

Im Jahre 1861 entstand die damalige Genossenschaft Bildender Künstler in Wien aus dem Zusammenschluss zweier Kunstvereine‚ Albrecht Dürer’ und ‚Eintracht’. Die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien befand sich damals im Aufbruch; die Stadtmauer war gefallen, überall herrschte rege Bautätigkeit. Es wundert also nicht, dass auch die bildenden Künstler zur Verwirklichung eines alten Traumes schritten - zur Errichtung eines eigenen Ausstellungs- und  Versammlungshauses. 

Kaiser Franz Josef überließ als großer Kunstförderer den Wiener Künstlern ein Baugrundstück innerhalb der geplanten Stadterweiterung zur Errichtung eines großen Versammlungs- und Ausstellungsgebäudes. "Der erste Spatenstich" zum Bau des Künstlerhauses am 21. 8. 1865. Der Grundriss des künftigen Gebäudes wurde durch Ziegel markiert, in seiner Mitte standen Büsten des Kaiserpaares. 

Das wesentlichste Problem des Künstlerhausbaues war seine Finanzierung. Die Künstler waren praktisch auf sich selbst angewiesen und an eine weitgehende staatliche Hilfe, war nicht zu denken. Man musste sich daher etwas einfallen lassen. Der aus England zurückgekehrte Architekt Stache zum neuen Vorstand gewählt. Binnen kurzer Zeit entwarf er einen Finanzierungsplan, in dem er seine ganze Hoffnung auf die Mitwirkung des Kaiserhauses, der Aristokratie und der Finanzwelt stützte. Sein Programm sah eine Teilung der Mäzene in "Stifter" und "Gründer" - je nach der Höhe des gewidmeten Beitrags vor. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Genossenschaft durch zehn Jahre Kunstwerke unter den Stiftern und Gründern zu verlosen, soweit diese nicht von vorneherein auf die Rückzahlung verzichtet hatten, was schließlich auch meist geschah. Der Stache'sche Plan ging in seinem Sinne in Erfüllung; im Dezember 1864 war schon soviel Kapital vorhanden, dass man mit dem Bau beginnen konnte. Mit massiver finanzieller Unterstützung bedeutender Mäzene aus Hof, Adel, Klerus, der Gemeinde Wien und dem Land Niederösterreich wurde das Gebäude des Künstlerhauses errichtet und den Künstlern im Jahre 1868 zur Nutzung übergeben.

Grundsteinlegung zum Bau des Künstlerhauses im Jahre 1865. 
Der Grundriß des künftigen Gebäudes wurde durch Ziegel markiert.

Als im September 1868 Kaiser Franz Josef aus Ischl zur Schlußsteinlegung des neuen Hauses kam, das Architekt August Weber am Karlsplatz errichtet hatte, sah auch er in dieser Gründung nicht nur ein repräsentatives Ausstellungsgebäude. Was der Kaiser, der Hof, die Aristokratie und das Großbürgertum wie auch die Künstler selbst erwarteten, war ein Institut, das der gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell sich entfaltenden k. k. Reichshaupt- und Residenz-Stadt Wien neue künstlerische Impulse geben sollte. Man war gerade dabei, auf dem Grund der gefallenen Basteien und des freien Glacis eine gewaltige städtebauliche Leistung zu vollbringen: den Bau der Ringstraße.

 

Kaiser Franz Josef auf dem Weg zur Eröffnung einer Ausstellung, 1910
 

Weitere Fotodokumente von Kaiser Franz Joseph im Künstlerhaus (bitte anklicken)

 

Berühmte Architekten, Bildhauer und Maler als Mitglieder des Wiener Künstlerhauses

Das Wiener Künstlerhaus beherbergte viele der wichtigsten Baukünstler, Architekten, Bildhauer und Maler Wiens. Ein Großteil der Erbauer der neuen Wiener Ringstraße und deren Monumentalbauten waren Mitglieder des Künstlerhauses.

Architekten

Allen voran waren es berühmte Architekten, die den Baustil der Ringstraße prägten und eine selten einheitliche städtebauliche Leistung gemeinschaftlich erbrachten. Theophil Hansen, Planer und Erbauer des Parlaments, der Akademie der bildenden Künste, der Börse und des Musikvereinsgebäudes, Gottfried Semper und Karl Hasenauer, die das Burgtheater, die beiden Hofmuseen (das Natur- und das Kunsthistorische Museum) erbauten, Heinrich Ritter von Ferstel, der Architekt der Votivkirche und des Universitätsgebäudes, Friedrich Schmidt, Erbauer des Wiener Rathaus, van der Nüll, der Planer der Wiener Oper und schließlich August Siccard v. Siccardsburg, der Erbauer und zugleich auch der erste Präsident des Künstlerhauses.

Bildhauer

Große Wiener Bildhauer waren Mitglieder des damaligen Wiener Künstlerhauses. Eine der stärksten Künstlerpersönlichkeiten erblicken wir in dem Bildhauer Anton Dominikus Fernkorn. Schon sein monumentaler Löwe von Aspern“ stellt ihn hoch über das Niveau der zeitgenössischen österreichischen und deutschen Bildhauerei. Fernkorns Löwe von Aspern ist ausdrucksvoller gestaltet als der ‚“Luzerner Löwe“ von Thorwaldsen. Reizvolle Darstellungen der Musik und des Tanzes sind die zarten Mädchengestalten, die im Stiegenhaus des Auerspergpalais Aufstellung fanden. Seine große Erfüllung ist jedoch das 8 Meter hohe, mustergültig gegossene bronzene Reiterstandbild des Erzherzog Karl, das auf einem Sockel von Van der Nüll und Siccardsburg auf dem Heldenplatz steht. Klassische Ausgewogenheit eines geläuterten Empires, gepaart mit den ins Geistige sublimierten Genien des Wiener Rokokos, die die Schwere des Stofflichen in Anmut und Beseeltheit wandeln, schufen hier das Sinnbild des siegreichen Feldherrn, nahe den menschlichen Werten, ferne jeder historisierenden Untertänigkeit. Sein zweites bronzenes Reiterstandbild auf dem Heldenplatz, der Prinz Eugen", ist in seiner Aussage fülliger und dem Neubarock verwandt, das im späten Ringstraßenstil seinen Höhepunkt erlebte. 

Fernkorn gestaltete auch das Resseldenkmal vor der Technischen Hochschule. Karl Kundmann schuf das Schubertdenkmal im Stadtpark, das eigenwillige Tegetthoffdenkmal auf dem Praterstern, das Grillparzerdenkmal im Volksgarten, für welches Rudolf Weyr die schönen Reliefs an der Nischenwand beisteuerte, und die 15 Meter hohe Pallas-Athene-Figur vor dem Parlament. 

Von Viktor Tilgner besitzen wir Büsten im Burgtheater, das Mozartdenkmal im Burggarten, das Makartdenkmal und die Brucknerbüste im Stadtpark. Ein Plastiker von Format war Eduard Hellmer. Seiner Kunst verdanken wir das vielfigürige Hochrelief im Hauptgiebelfeld des Parlaments, das Marmordenkmal des großen Landschaftsmalers E. j. Schindlers (ebenfalls ein Künstlerhausmitglied), das monumentale Goethedenkmal am Opernring und den kolossalen Wandbrunnen. Die Macht zu Lande am Michaelerbau der Hofburg. Das Gegenstück dazu, Die Macht zur See, stammt von Rudolf Weyr. Wir werden Hellmer noch später begegnen. 

Eine ausgeprägte Bildhauerpersönlichkeit erleben wir auch in Kaspar v. Zumbusch. Ihm glückte das imposante Maria-Theresien-Denkmal zwischen den beiden Hofmuseen, ferner das Beethovendenkmal beim Akademischen Gymnasium und die Reiterstandbilder "Feldmarschall Radetzky', jetzt vor dem Regierungsgebäude, sowie das Erzherzog-Albrecht-Denkmal auf der Albrechtsrampe. 
 

Die Wiener Ringstrasse (bitte anklicken)

Maler des Künstlerhauses

Auch die Maler des Künstlerhauses fügten sich mit hingebender Liebe zum großen Werk in die Gemeinschaftsarbeit ein. Karl Rahl ist der Begründer der idealistischen Malerei in Wien und der Monumentalmalerei zur Ausschmückung der Ringstraßenpaläste. Er fußte auf der dekorativen, höfischen Kunst der Vergangenheit, die in genialen Variationen renaissancehafter und barocker Prägung die Kirchen, Stifte und Schlösser mit großartigen Gemälden und Fresken ausgestattet hatte. Es handelt sich also wieder um eine offiziell geförderte Staatskunst. 

Christian Griepenkerl, ein Mitarbeiter Rahls, malte gemeinsam mit Eduard Bitterlich, der an der bildlichen Ausschmückung der Oper und anderer Ringstraßengebäude beteiligt war, nach Rahls Entwurf den Hauptvorhang der Hofoper, auf dem auch die Erbauer Siccardsburg und Van der Nüll, ferner Rahl, Gasser und Dobiaschofsky zu sehen waren. Dieser Vorhang wurde bekanntlich 1945 ein Raub der Flammen. 

Der große Maler Hans Canon schmückte das Stiegenhaus des Naturhistorischen Museums mit dem Deckengemälde "Der Kreislauf des Lebens". Wir kennen von ihm auch sehr gehaltvolle Bildnisse. Vom gediegenen August Eisenmenger besitzen wir das Deckengemälde Triumph der Gerechtigkeit" im Justizpalast und den fünfzehnteiligen Fries im Saale des Abgeordnetenhauses. Eduard Charlemont malte drei große Deckengemälde im Foyer des Burgtheaters, Karl v. Blaas schuf 45 vielfigürige Fresken im alten Heeresmuseum des Arsenals. 

Auch Makart arbeitete für das Kunsthistorische Museum überaus reizvolle Lünettenbilder, das geplante Deckengemälde "Der Sieg des Lichtes' kam wegen seiner Todeskrankheit nicht mehr zur Ausführung. Sein Gegenpol, Anselm v. Feuerbach, ebenfalls Künstlerhausmitglied, malte in Hansens Auftrag das Deckengemälde `Sturz der Titanen in den Tartaros' für die Aula der Akademie der bildenden Künste. Kleinere Bilder hellenistischer Gottheiten umgeben das Hauptbild. 

Als Hüter der Tradition und als Element einer bodenständigen Entwicklung betreuten die Maler des Künstlerhauses auch das kleinformatige Wiener Genrebild. Auch Gauermann wirkte im letzten Lebensjahr noch im Künstlerhaus. Seine Genrebilder mit Gewitterstimmungen und Tierepisoden sind malerisches Edelgut.

Das Genrebild fand seinen Höhepunkt und Abschluss mit August v. Pettenkofen, der es aus dem Wiener Lokalrahmen befreite. Der Künstler wählte seine Motive aus ungarischem und italienischem Milieu und gewann dadurch thematisch und maltechnisch den Anschluß an die europäische Malkunst. Das problematische Malgenie Pettenkofen setzte sich eingehend mit dem europäischen Realismus und mit dem französischen Impressionismus auseinander. Pettenkofen liebte die Pußta mit ihren Pferden und Hirten, sein malerisches Auge ergötzte sich an den Mädchen und Burschen der ungarischen Tiefebene, an dem farbbewegten Marktleben der Dörfer und Kleinstädte. Besonders fesselte ihn das zerlumpte Volk der nomadisierenden Zigeuner, er gestaltete aber auch die Armut, das Entsetzen, die Greuel des Krieges ("Der Verwundetenwagen') und er entdeckte im Volksleben von Venedig und Neapel neue, lichtumflutete Genreszenen, die er mit gleicher Hingabe malte wie den Kuß", der eine melodiöse, ungarische Liebesidylle darstellt und der auch als Motiv eines Wertes der Sonderpostmarkenserie Hundert Jahre Künstlerhaus' verwendet wurde. Pettenkofen ist ein Meister der reizvoll koloristischen Atmosphäre. Seine Malweise ist aufgelockert, bereits modern und lyrisch bewegt und manchmal schon von pessimistischen Schatten umwölkt. Unbestritten ist Pettenkofen einer der ganz großen Maler des Künstlerhauses. 

Porträt und Bildnis pflegten Friedrich v. Amerling, Franz Eybl, der Künstlerhauspräsident Heinrich Angeli und Karl v. Blaas, die als Porträtisten des Wiener Hofes und des Hochadels beliebt waren. Auch auf Canon und Hans Makart sei mit Nachdruck hingewiesen. Wir erwähnen das Bildnis der Frau Margarethe Plach von Makart. 

Auch die Landschaft wurde im Künstlerhaus mit Sorgfalt betreut. Symbolhaft ist der Entwurf des Wiener Stadtparkes durch den Künstlerhauspräsidenten und Landschaftsmaler Josef Selleny. Wir heben den Künstlerhauspräsidenten Rudolf v. Alt hervor, dessen Landschaftsaquarelle und Stadtbilder bei aller Genauigkeit der Naturwiedergabe von einem Hauch sonnendurchleuchteter Grazie erfüllt sind. 

Ihm folgt die imposante Persönlichkeit des großen Landschaftsmalers Jakob Emil Schindier, der gemeinsam mit dem Impressionisten Carl Schuch und dem gleichstrebenden Landschafter Eugen Jettel Kunstreisen unternahm und der als der bedeutendste Vertreter des Wiener Frühimpressionismus gewertet wird. Seine Landschaftsgemälde gehören zu den schönsten des 19. Jahrhunderts. Wir erblicken scheinbar zufällige, in Wirklichkeit raffiniert gewählte Standpunkte zum Motiv, die ausgezeichnete Bildausschnitte ergeben. Es handelt sich um ein Gerüst von Form, Farb- und Tonwerten einer dominierenden Bildkomposition. Somit weist auch Schindler weit in die Zukunft. 

Dem Zeitgeist entsprechend, gebührt natürlich eine hervorragende Position dem Historiengemälde, das im Rahmen des höfischen Mäzenatentums groß wurde. Es erhielt in Wien nicht zu unterschätzende Impulse durch die großartigen Darbietungen des Burgtheaters. Man denke an die großen Historiendramen Schillers, Goethes, Hebbels und Grillparzers. Mit seinem Präsidenten Hans Makart erreichte das Künstlerhaus seine am weitesten ins Volk dringende Epoche. 

Man nennt diesen genialen Dekorationsmaler mit Recht den letzten gloriosen Nachfahren Veroneses, Tiepolos, Rottmayrs, Gratis und Maulbertschs. Makart wurde vom Schicksal in eine seinem innersten Wesen kongeniale Zeit gestellt, in das klingende, tanzende, bauende, meißelnde Neubarock der jungen Großstadt Wien. Seine Zeitgenossen waren Johann Strauß d.J., dessen Fledermaus Wien in Entzücken versetzte, Franz v. Suppe', Karl Millöcker einerseits und anderseits Richard Wagner mit seinem historischen Pathos. 

Hans Makart, ein sehr guter Zeichner und Kolorist, verfügte über eine große Schaffenskraft, er war phantasievoll, leidenschaftlich, ein Meister der figuralen Großkomposition und ein brillanter Porträtist. Das genussfrohe Wien der Ringstraßenzeit, schönheitsdurstig und sinnenfreudig, gewöhnt an den Anblick romantisch fürstlicher Lebenshaltung, berauschte sich an der faszinierenden Wirkung seiner historischen Gemälde und Allegorien ("Einzug Karl V. in Antwerpen", "Pest in Florenz", Catherina Cornaro', Jagdzug der Diana", "Fünf Sinne" und Der Triumph der Ariadne'). Ein Ausschnitt des letztgenannten Gemäldes ist ebenfalls ein markantes Motiv der Jubiläums-Sonderpostmarkenserie. 

Der suggestiven Ausstrahlung der Makartschen Persönlichkeit war es zuzuschreiben, dass sich der historische Lebensstil des Künstlers, eines Farbenzauberers ohnegleichen, sogar als Makartstil zum Stil seiner Zeit steigerte. 

Auf dem Gipfelpunkt seines romantischen Lebens erweckte Hans Makart das größte Historiengemälde seiner Phantasie zu pulsendem Leben, indem er den großen historischen Festzug zur Feier der Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares entwarf, gestaltete und selbst im prunkvollen Kostüm eines Renaissancekünstlers hoch zu Ross als Anführer der prächtig kostümierten Malerzunft über die Ringstraße ritt. 

Vorbei an den Majestäten, an 120 vollbesetzten Tribünen und an einem dichten, unbeschreiblich jubelnden Spalier der Bevölkerung, die sich schaulustig an beiden Seiten der Ringstraße drängte. Der sonnige Frühlingstag des Makartfestzuges - unter diesem Namen ging das Ereignis in die Annalen der Stadt Wien ein - der 24. April des Jahres 1879, war wirklich ein denkwürdiger Festtag der Weltstadt Wien. Er war auch ein Ehrentag des Künstlerhauses.

Den Zug eröffnete auf einem schneeweißen Pferde reitend ein in rote und weiße Seide gekleideter Herold, dessen reichgestickter scharlachroter Oberwurf auf Brust und Rücken den kaiserlichen Doppeladler zeigte; ihm folgten, gleichfalls auf Schimmeln reitend, zwölf gleich gekleidete Trompeter, die ihre Fanfaren ununterbrochen gegen Himmel schmetterten. Dann aber entrollte sich ein Sinnenrausch sondergleichen: der Zug der Wiener Bürgerschaft, Banner auf Banner, Festwagen auf Festwagen namentlich der Wiener Zünfte, alles mit allegorischen Darstellungen, die auf das jeweilige Gewerbe Bezug hatten, überreich geschmückt, vor allem aber mit der Auslese der Wiener Frauenschönheit prangend; dazwischen Musikkapellen, natürlich alle in mittelalterlicher Tracht; dann wieder Festwagen, zum Teil auch Errungenschaften der Neuzeit verherrlichend, wie z. B. der der Eisenbahnen die Vermählung des Feuergottes mit einer Wassernymphe darstellte, bis schließlich in raffinierter Steigerung der Höhepunkt des Zuges herankam: der Wagen der Künstlerschaft.

Ihm voran ritt in Rubenstracht der Schöpfer alles dessen, was die Augen der Zuseher entzückt und geblendet hatte: Makart selbst. Wohlweislich hatte er sich keine Begleiter beigesellt, ritt allein, vor und hinter sich auf entsprechenden Abstand bedacht, voll bewußt dieser selbstgewählten stolzen Einsamkeit: er hatte dies alles geschaffen, auf ihm lag die Verantwortung für das Gelingen: nun wollte er auch seinen Triumph genießen, den Lohn einheimsen für das Geschaffene. Und dieser Triumph wurde ihm auch voll zuteil: umbrandet vom Jubel der Hunderttausende ritt er Schritt um Schritt diese Via triumphalis, und als er am Zelte der Majestäten vorbei ritt und ehrfurchtsvoll den breitrandigen Hut senkte, antwortete ihm der Kaiser mit einem Gegengruß wie einem Gleichrangigen, einem Fürsten der Kunst.

In dem Wagen der Künstlerschaft aber hatte Makart alles vereinigt, was ihm als Inbegriff der Schönheit, als Ideal der Kunst vorschwebte. Ein Bannerträger, auch er im Kleide der Rubenszeit, ritt dem Wagen voran; ihm folgten in gleicher Tracht sieben Künstler zu Pferde. Dann endlich kam, von sechs Pferden gezogen, der Wagen selbst. Das Vorderteil bildete eine reichgeschnitzte vergoldete Volute, auf der sich das gleichfalls von Gold leuchtende Standbild der Mediceismen Venus erhob. Im Wagen selbst aber drängten sich in meisterhaft angeordneter Huldigung Frauen, Kinder und Pagen, die Auslese der Auslese an Schönheit um eine auf goldenem Thron ruhende Zaubergestalt in märchenhaft herrlicher Kleidung: es war die Kunst selbst, die gekommen war, um dem Kaiserpaar für dessen fürstliche Gönnerschaft in eigener Person Dank zu sagen.

So mächtig war der Eindruck dieser vollendet aufgebauten Gruppe, dass der Beifall verstummte und erst, als der Kaiser selbst das Zeichen dazu gab, in doppelter Stärke losbrach. Der Abschluss des Zuges, die Hochgebirgsjagd darstellend, ging fast unerIebt vorbei. Und doch war er bestimmt, dem Kaiser, der ja ein leidenschaftlicher Jäger war, besonders ans Herz zu greifen. Wie aus einem Traum erwachend, dankte der Gefeierte den Zurufen, dem Winken der Jäger, den Jodlern der Senner und Sennerinnen, ließ die Blicke fast zerstreut über die ausgesucht schönen Krickeln, Gehörne, Prachtgeweihe der Jagdbeute gleiten und nahm aufatmend die abschließende Huldigung der 1500 Sänger entgegen, die, im Halbkreis um das Kaiserzelt versammelt und von Militärmusik begleitet, die Feier mit der Kaiserhymne beendeten.

An dem Zug nahmen ungefähr zehntausend Menschen teil. Der Vorbeimarsch dauerte über zwei Stunden.

Den zweiten Massenakkord in Makarts relativ kurz bemessenem Dasein, einem hochdramatischen Ausklang auf den Brettern des Burgtheaters ähnlich, bildete das düster-prunkvolle Schlussbild im Jahre 1884, als die fackeltragenden Künstler des Künstlerhauses vom Sterbehaus Makarts in der Gußhausstraße Makarts Sarg zur Karlskirche und von dort vor das schwarz ausgeschlagene Portal des Künstlerhauses trugen, wo in Anwesenheit einer riesigen Menschenmenge die Fackeln gelöscht wurden. 
 
 

Foto vom Begräbnis Makarts im Oktober 1884


Allen herabmindernden Urteilen des Makartschen Schaffens sei entgegengehalten, daß in Makart so wie in den ebenfalls oft zu Unrecht geschmähten Ringstraßenbauten ein Wesentliches aus einer lebens- und tatenfrohen Zeit wohnt und weiterwirkt, das echte, starke Kunst ist. 

Wir betrachten den nächsten großen Meister: Anton Romako, dessen rührend-naives Gemälde "Bauernmädchen" das Motiv für die dritte Jubiläumssonderpostmarke abgab. Sehr interessant, zwiespältig, seelenleidend gleich Nikolaus Lenau, aber überaus zukunftsweisend ist die profilierte Gestalt dieses Wiener Künstlers. Ebenfalls von Waldmüller ausgehend, an Rahl und Kaulbach geschult, sich grübelnd beschäftigend mit dem europäischen Realismus und dem deutschen Idealismus sowie mit dem französischen Impressionismus wird Romako auf der Brücke zwischen Impressionismus und Neuromantik ein unbewusster Vorläufer des Expressionismus. Berühmt ist die großgesehene, gleichsam mühelos ausgehauchte Landschaft "Das Gasteiner Tal", ferner malte Romako reizvolle, impressionistische Genrebilder, auch Darstellungen hochaktueller Ereignisse gehören in seinen Motivkreis, so das berühmte Gemälde Tegetthoff in der Schlacht bei Lissa', und schließlich Bildnisse, in denen gedankliche und psychologische Probleme im Vordergrund stehen (Bildnis der Kaiserin Elisabeth). Romakos Hauptanliegen ist neben dem Lichtproblem der beseelte Mensch, sein Ausdruck ist manchmal bis an die Grenze der Karikatur gesteigert. Seine Pinselführung ist bewegt, nervös, erfüllt von hektischer Lebendigkeit. Man fühlt in seinem Gesamtwerk Voraussagen sezessionistischer Linienkunst und einen Frühexpressionismus, der auf Schiele und Kokoschka zielt. 

Ausstellungen

Die angeführten Meister sowie die Vielzahl der anderen bedeutenden Künstler des Künstlerhauses hatten in den satzungsgemäßen Jahresausstellungen, Einzelausstellungen und in internationalen Ausstellungen ihre Werke zur Schau gestellt. Auch die bedeutendsten Künstler des Kontinents wurden zu Ausstellungen eingeladen und folgten gerne diesem Ruf. Dadurch gelang es dem Künstlerhaus, die Musikstadt Wien auch zu einer wichtigen Metropole der bildenden Künste zu machen. 

Im Jahre 1869 waren Makarts Kolossalgemälde Die sieben Todsünden" und Julia 'Capulet' sowie Pilotys Wallensteins Zug nach Eger' im Künstlerhaus zu sehen. Die Erste internationale Ausstellung des Künstlerhauses im Jahre 1871 brachte Werke von Adolf Menzel, Wilhelm Kaulbach, Corot, Daubigny und Rousseau. Für die Wiener Weltausstellung (1873) arrangierte das Künstlerhaus die Kunstabteilung. Man sah Modelle von Monumentalbauten (Ferstel, Hansen, Schmidt) und Großgemälde von Canon und Mateiko
 
 


Im Jahre 1874 wurde eine Kollektivausstellung von Jakob v. Alt, Rudolf und Franz v. Alt veranstaltet. 1875 folgten eine Ausstellung in dem märchenhaft prunkvollen Großatelier Makarts und eine Kollektivausstellung von Führich. Im Sommer 1878 schickte das Künstlerhaus Makarts Finzug Karl V. in Antwerpen' in die Pariser Weltausstellung, vorher hatte das große Historiengemälde innerhalb einer Woche 23.000 Besucher ins Künstlerhaus gelockt. In der Jahresausstellung 1880 sah man Makarts 'Jagd der Diana'. 

Für die Expositionen des Jahres 1882 musste das Künstlerhaus wesentlich vergrößert werden. Man baute rechts und links je einen großen Saal (den französischen und deutschen Saal) an das Hauptgebäude, um den notwendigen Raum für die 1313 Kunstwerke der ersten großen internationalen Kunstausstellung zu schaffen. Aussteller waren Louis Gaillait (Belgien), Predilla (Spanien), Bonnat und Baudry (Frankreich), Piloty, Leibl, Menzel (Deutschland), Hellequist (Schweden) und noch viele andere ausländische Künstler. Von den Wienern waren Romako mit seinem Tegetthoffgemälde, Aquarelle von Rudolf v. Alt und Makarts 'Cleopatra' und die anderen Prominenten des Künstlerhauses vertreten. 

Man zählte die stattliche Zahl von 248.279 Besuchern. Im gleichen Jahr wurde bei einer Einzelexposition Munkaczys Christus vor Pilatus' von 50.000 Besuchern betrachtet. 1885 sahen die Wiener die Nachlaßausstellung "Hans Makart". In der Jahresausstellung 1886 wurden die architektonischen Entwürfe des Mitgliedes Otto Wagner im Künstlerhaus gezeigt, außerdem eine Kollektion des Malers Karl Spitzweg. Im nächsten Jahre erfolgte eine abermalige Vergrößerung des Ausstellungsraumes. Man deckte für die Zweite große internationale Kunstausstellung des Jahres 1888 den Hof ein und baute das Stiegenhaus um.  
 


 
 
 

Zweite grosse internationale Kunstausstellung 1888, Linke Seitengalerie (oben) und Mittlerer Saal (unten). 

Abspaltung der Secessionisten

1897 kam es zur ‚Kunstrevolte’. 19 junge Künstler, angeführt von Gustav Klimt, traten aus der „Genossenschaft Bildender Künstler“ aus und bildeten eine neue Vereinigung der Bildenden Künstler, Secession.

Es begann ziemlich geringfügig mit einem Streit um die Zurückweisung oder Zulassung eines an sich harmlosen Aktbildes, der "Kirschenpflückerin" des Malers Engelhart, das - nach den Fleischorgien Makarts - einer Anzahl der ältern Mitglieder zu wenig schamhaft erschien. Aber den heimlichen Untergrund der hitzigen Debatten, die zwischen jenen und den meist jüngern Mitgliedern geführt wurden, bildete die Bewegung, die unter dem Namen "Sezession" ganz Europa erfasst hatte. Und wie ein Wort das andere gab, wurde der Streit zum Zwist, und schließlich machten sich die Anhänger der neuen Kunstrichtung, unter ihnen vielversprechende Künstler wie Klimt und Engelhart, selbständig, traten aus der Genossenschaft aus und gründeten unter dem verpönten Namen eine eigene Vereinigung. 

Das Ganze hatte den Anschein eines Generationsstreites; aber den Aufrührern schlossen sich sowohl der in gesetztem Alter stehende Carl Moll wie auch der 85 jährige Rudolf von Alt in führender Stellung an; hingegen verblieben im Verband der Künstlergenossenschaft viele jüngere, also keineswegs nur reifere Maler, und drei Jahre nach dem Zwist trat der junge, mitten in seiner Entwicklung stehende Albin Egger-Lienz der Genossenschaft als Mitglied bei. 
Von Anfang an hatten die Empörer den größten Teil des Publikums und vor allem die Presse gegen sich. Die Kunstbehörden sahen sie mit scheelen Augen an, ihre Bilder und Plastiken fanden keine Käufer, ihre Ausstellungen wurden in den maßgebenden Blättern mit Spott überschüttet. 

Die Kaiserrede zum 50jährigen Jubiläum des Künstlerhauses war Bekenntnis zur konservativen Kunst und damit Absage an die Neuerer. Der Monarch, der sonst nie aus sich heraustrat und jede Stellungnahme peinlich vermied, antwortete bei der Eröffnung der Jubiläumsausstellung auf die Begrüßungsworte des Präsidenten: "Seit langen Jahren, seit der Gründung der Genossenschaft, komme ich in dieses Haus und freue mich jedes Mal, die Ausstellung eröffnen zu können. Ich bin immer glücklich gewesen, das Gedeihen der Genossenschaft wahrnehmen zu können und wünsche Ihnen auch für die Zukunft das beste Blühen und Gedeihen". Das Haus der "Sezession" hat der Kaiser nie betreten. Doch bleibt festzustellen, dass er in spätern Jahren (1911) den "Kuss", ein Hauptwerk Klimts, für die "Moderne Galerie" ankaufte.

Es entstand die Regel, dass künftig alle neuen, von außen eindringenden neuen Kunstrichtungen und Kunstmoden dort, in der Secession, und nicht im Künstlerhaus manifestiert und erprobt werden. Unbeeinflusst davon unterwarfen die Meister des Alten Wiener Künstlerhauses ihre künstlerische Orientierung weiterhin dem hohen Anspruch der „Ringstraßen-Kultur“.

Um die Jahrhundertwende zeichnete sich nach und nach eine Werteverschiebung innerhalb der Kultur und der Kunst ab. Erfuhren zuvor die Künstler eine allgemeine Wertschätzung und die Achtung aus der Ehrfurcht vor dem Kunstwerk, verbunden mit einem idealisierten historischen Weltbild, so trat nun ein Wechsel ein durch materielle Werte. Man übertrug das allgemeine gesellschaftliche Interesse auf die Größen des Sports, des Films und der Unterhaltungsmusik.

Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Folgen des verlorenen Krieges brachten einen Einbruch des kulturellen Selbstwertgefühls des ehemals so starken Habsburgerreichs mit sich. Hunger, Wohnungsnot und Geldentwertung waren Probleme, mit denen sich auch die Künstler auseinanderzusetzen hatten.

Zwischenkriegszeit

In der Zeit zwischen den Kriegen machte die Bildende Kunst eine recht turbulente Entwicklung durch. Das Technikzeitalter war angebrochen. Flugzeuge waren am Himmel zu sehen, die ersten Automobile fuhren durch die Straßen. Dies belebte die neuen Stilrichtungen des Futurismus, des Kubismus und des Expressionismus.

Die zahlreichen -ismen und die daraus resultierenden Umschichtungen der Wertebegriffe verunsicherten das Publikum und es erwuchs ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Bildenden Kunst. Dies wirkte sich aus in sinkenden Besucherzahlen von Kunstausstellungen.

Die Künstler des Künstlerhauses rangen mit all diesen neuen Eindrücken. Sie formten diese Eindrücke ins Konziliante, ins Ausgleichende um. Die überwiegende Mehrheit der Maler war sich einig in der Überzeugung, keinen modischen Versuchen zu erliegen, selbst wenn damit kurzfristige Vorteile zu erzielen wären.

Auch in der Zeit zwischen den Weltkriegen wurde von den Baukünstlern des Künstlerhauses Bedeutendes für Wien geleistet. Eine großzügige Bautätigkeit in der Form aufgelockerter Häuserblöcke entstand mit Plastiken, Fresken und Sgraffitos. Die Architekten und Bildhauer dieser neuen Zeit beschritten die Fußspuren ihrer früheren Meister.

Im Jahre 1939 wurde das Künstlerhaus und die Secession unter dem Namen Gesellschaft bildender Künstler Wiens, Künstlerhaus’ zusammengelegt und das Secessionsgebäude als zweites Ausstellungsgebäude des Künstlerverbandes deklariert. Es bestand ein erzwungener Zustand, der bis 1945 andauerte.

Zeit nach dem 2. Weltkrieg - Stilwandel

Nach dem Krieg galt es, vorerst die schwersten materiellen Nöte der Wiener Künstler zu lindern. Unter dem damaligen Präsidenten des Künstlerhauses, Prof. Karl Maria May, gelang es, Essen, Bekleidung und Arbeitsräume bereitzustellen, das verwüstete Künstlerhaus zu entrümpeln und die ärgsten Bauschäden zu beheben. Man belebte wieder die alte Tradition der Gschnasfeste, vor allem auch darum, um in Anbetracht der drückenden Steuerlast die finanziellen Einnahmen des Hauses zu erhöhen. Einen anderen Zweck verfolgte man darin, den Künstlern große Kompositionsaufgabe zu stellen, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich ‚frei zu malen’. ‚Gschnas’, ein altes Wiener Wort, bedeutet etwa so viel, aus einem kleinen Etwas eine humorvolle Sache hervorzuzaubern. Gschnas ist sozusagen ein Edelprodukt überschäumender Künstlerlaune.
 
 


 

Weitere Fotodokumente von Gschnasfesten (bitte anklicken)

Die große Zerstörung an Wiener Gebäuden brachte wieder eine Epoche emsiger Bautätigkeit, die den Architekten, Bildhauern und Malern zugute kam. Trotz der Bedrängnis der Nachkriegszeit vergaßen aber die Mitglieder des Künstlerhauses niemals ihre kulturelle Mission, die sie in Wien zu erfüllen hatten. Etwa die Wiederherstellung des Stephansdoms gelang der Dombauleitung unter dem großen Dombaumeister Professor Karl Holey, ebenfalls ein Mitglied des Künstlerhauses.

Der Wechsel der politischen und kulturellen Ausrichtung nach dem Zweiten Weltkrieg stellte die Künstler vor schwierige Aussage und Stilprobleme. In traditioneller Gründlichkeit waren die Künstler daran gewöhnt, erst dann ein Werk zu schaffen, bis alle dafür nötigen Grundlagen und Randbedingungen klar definiert worden sind.

Nach dem Krieg galt es, Stellung zu nehmen zu einer neuen, modernen malerischen, bildhauerischen und architektonischen Kunst. Man setzte sich auseinander mit der Freudschen Psychoanalyse, die nach dem fürchterlichen Kriegsgeschehen eine Welle des Surrealismus auslöste und Träume, Unterbewusstes sowie freie Assoziation gestaltete.

Neue Impulse des Expressionismus und des Kubismus mussten eingehend studiert werden. Die vehementeste Auseinandersetzung aber war mit der ungegenständlichen Aussage der Abstraktion in der Malerei, Graphik und Bildhauerei, ein Bestreben, das nun weltweit verfolgt wurde. Infolge des nun rasch aufkommenden Verkehrs und der Nutzbarmachung der Technik wurde die Kunst mehr und mehr internationalisiert. Der Zugang der Künstler zu neuen Erkenntnissen der Naturwissenschaften wie Relativitätstheorie, Quantenphysik und Atomlehre wirkte auf die Künstler ein und es galt, immer des neuen die für den Künstler richtige Position zu beziehen.

Unbeeindruckt davon hielt aber ein überwiegender Teil der Künstler des Künstlerhauses daran fest, daß die reale, sichtbare Welt die Welt der Kunst ist. Basierend auf der Tradition der sogenannten Wiener Kunst bewahrte man das primäre Verhalten zur realen, gegenständlichen Kunst und war rastlos tätig, das technische Malkönnen zur höchsten Vollendung zu steigern. Die Künstler erkannten neben so mancher modischer Strömung der Modernen jedoch den essentiellen Gehalt der Neuen Kunst. 

Es galt in bewährter Anpassungsfähigkeit, von der Modernen Anregungen und Bereicherungen zu empfangen, ohne das gewachsene Eigene aufs Spiel zu setzen. Die geistige Bewältigung dieser Aufgaben konnte kein Ergebnis schneller Entschlüsse sein, dazu waren Jahre erforderlich. War man doch bemüht, die künstlerische Orientierung des Künstlerhauses auf der Ebene des reifen 20. Jahrhunderts zu schaffen.

Das Künstlerhaus veranstaltete alljährlich die satzungsgemäßen Frühjahrs- und Herbstausstellungen, denen immer Kollektionen einzelner Mitglieder angegliedert wurden. Um den kontinuierlichen Zusammenhang der alten Kunst mit der neuen Kunst symbolisch zum Ausdruck zu bringen, wurden die früher an der Fassade des Hauses angebrachten Figuren der historischen Maler Bramante, Tizian, Dürer, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael, Rubens und Velasquez, allesamt Plastiken von Mitgliedern des Künstlerhauses, an der Straßenfront des Künstlerhauses aufgestellt.
 
 

Erste Kunstausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg "Die Wienerin", 1949

 

Im Jahre 1954 wurde Professor Rudolf Heinz Keppel zum Präsidenten des Künstlerhauses gewählt. Unter seiner Präsidentschaft zeigte sich das Künstlerhaus in einer weltoffenen Orientierung. Außerdem war man bestrebt, das Werk einzelner Künstler durch sorgfältig ausgewählte Kollektionen auch dem Ausland umfassend zu präsentieren. Mitglieder des Künstlerhauses stellten aus in Venedig, Triest, Genua, Livorno, Bukarest, Helsinki, New Delhi, El Salvador, Santiago de Chile und Japan. Im Gegenzug lud man Künstler ein aus Italien, El Salvador, Israel, Skandinavien, Japan und Spanien.
 
 

Vorstandssitzung 1951. Rudolf Heinz Keppel hier als Mitglied der Ausstellungskommission (3. v. rechts)

Die 60iger Jahre

Mit welchen Themen und geistigen Problemen setzten sich die Maler des Künstlerhauses in den 60er Jahren auseinander? Innerhalb des weit gestreuten Spektrums neuer mehr oder weniger abstrakter Themenkreise wie Atom und Weltall, Tiefenpsychologie, Automation, Produktion und Weltwirtschaft vollzog sich die Abkehr vom historischen Materialismus, der das Gegenständliche als die bestimmende Grundlage der Kultur, also auch der Kunst wertet.

Die Philosophie des 20. Jahrhunderts, die Existenzphilosophie, lehrt dem Menschen, dass er, in völliger Freiheit, im Mittelpunkt der modernen Welt stehe (J.P. Satre). Er würde selbst für das Sein und das Selbst Verantwortung tragen und wäre sein eigener Schöpfer und Herr des Lebens.

Es gibt zwei Prinzipe des Werdens: die Revolution und die Evolution. Die Künstler des Alten Wiener Künstlerhauses haben stets den Weg der Evolution, jenen der gemäßigten Entwicklung der Kunst beschritten. Das Künstlerhaus  der Nachkriegszeit besteht nun nicht mehr aus einigen wenigen genialen Meistern der Vergangenheit, sondern präsentiert sich nun als Vereinigung aus einer großen Zahl gleichwertiger, bedeutender Talente. Die vorherrschende künstlerische Orientierung umfasst nun alle möglichen Varianten der gegenständlichen Darstellung. 

Heute steht das Künstlerhaus jedem Künstler mit hohem Niveau offen, auch solchen, die sich dem Surrealismus und der Abstraktion verschrieben haben. Nicht mehr die Art der Aussage entscheidet, sondern die Leistung und das wirkliche Können des Künstlers“.
 
 

Das heutige Wiener Künstlerhaus, 2005

 

Die Gesellschaft der Bildenden Künstler im Wiener Künstlerhaus
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